Kapitel 10 - Melinda

 

Ich bemerke die drei erst nach ein paar Sekunden. Dann seufze ich. Das muss ein Scherz sein. Genau die drei, die es wirklich nicht sehen müssen.

 

 

Ich räuspere mich. Es gibt eigentlich nichts, das ich erklären müsste. Also tue ich so, als wäre nichts Außergewöhnliches passiert und begrüße die anderen. „Hey Leute“, sage ich. Chloe setzt nun doch ein leichtes Lächeln auf. Ich erkenne leider nicht ob es ein echtes Lächeln ist. „Na ihr Zwei?“, fragt sie. Ich schlucke. Jessica klammert sich an meinen Arm. Super Timing. Macht ihr das Ganze denn gar nichts aus? Es herrscht eine ungewöhnliche und sehr unangenehme Stille. Carlos bricht das Schweigen. „Sind alle bereit für Oasis Springs? In ein paar Tagen ist es soweit“, grinst er. Alle nicken und ich will es ihnen gerade nach machen, als mir einfällt, dass wir doch noch Melinda haben. Ich hoffe wir können sie mitnehmen. Oder was wollte Jessica denn mit ihr machen? Darüber muss ich noch mit ihr reden. Carlos verabschiedet sich von uns und verlässt das Gebäude. Chloe wirkt auch unruhig. „Ich sollte auch los. Es ist schon so spät. Also bis morgen Kendra“, sagt sie. Dann sieht sie uns an und sagt mit einer neutralen Stimme: „Chris. Jessica.“ Dann geht sie zur Tür hinaus. Jessica rollt mit den Augen: „Dieses Miststück.“ Ich fahre zusammen. Kendra sieht verlegen weg. „Jessica! Was sagst du denn da?“, frage ich sie verständnislos. „Nicht wichtig“, sagt sie lächelnd. Dann fährt sie fort: „Wollen wir auch los, Chris?“ Ich nicke. „Gefällt mir. Wiedersehen Katy“, sagt Jessica arrogant und dreht sich um. „Kendra…“, murmelt Kendra. Ich schüttele den Kopf. Jessica muss sich ändern, wenn das mit uns wieder klappen soll. „Tut mir Leid, Kendra! Wir sehen uns morgen! Schlaf gut“, sage ich demütig. Sie nickt mir etwas traurig zu. Dann steige Ich mit Jessica ins Auto. Wenig später gehen wir auch schon auf ihre Haustüre zu.

 

 

Ich habe Melinda schon einige Wochen nicht mehr gesehen. Umso glücklicher war ich jetzt. Jessica schließt die Haustüre auf und wir treten ein. Da kommt direkt ein Kind auf uns zu. „Hey Mum, glaubst d-…“, fängt Melinda an. Dann realisiert sie, dass ich auch da bin.

 

 

„Dad!!!“, kreischt sie und kommt auf mich zu gerannt. Wir umarmen uns.

 

 

Ich halte sie ganz fest. Sie versucht, mich mit ihren dünnen Ärmchen auch ganz fest zu drücken. Nach der Umarmung bin ich entsetzt: „Melinda? Was hast du mit deinen Haaren gemacht?!“, will ich von ihr wissen. Sie kichert. „Ich hab‘ Mum gefragt, ob ich sie färben darf!“, sagt Melinda. Ich schaue Jessica boshaft an. „Und du erlaubst es ihr auch noch?“, frage ich. Jessica runzelt die Stirn. „Natürlich erlaube ich es ihr. Warum denn nicht? Sie ist elf Jahre alt, Chris. Sie wird erwachsen. Vom Haare färben geht keine Gefahr aus. Ich hab‘ sie zu meiner Friseurin mitgenommen. Die ist eine Göttin“, erklärt sie. Melinda sieht traurig aus. „Dad, das ist doch nicht so schlimm…“, murmelt sie betroffen. Ich schüttele den Kopf. „Doch. Finde ich schon. Wozu das Ganze? Was stimmt nicht an deiner Haarfarbe? Ich habe auch braune Haare und habe noch keinen Nachteil bemerkt“, weise ich sie zurecht. Jessica schaltet sich wieder ein: „Jetzt hör aber auf, du Fanatiker. Sie hat sich nur die Haare gefärbt. Es passieren weitaus schlimmere Dinge auf dieser Erde. Also komm endlich mal runter. Du hast doch ´nen Knall“, sagt sie mit einer genervten Stimme. Ich schüttele nochmal den Kopf. „Und diese Klamotten? Du machst aus unserem Kind eine Sch…“, beginne ich. Doch dann merke ich, dass ich zu weit gehe. Ich räuspere mich und schaue Melinda an. „Na gut. Dann ist es jetzt halt so. Meckern bringt da auch nichts. Ich bin dieses Mal einverstanden, Schatz. Aber mach‘ es bitte nicht zur Routine“, ermahne ich sie. Melinda schaut betrübt zu Boden: „Versprochen, Dad…“.

 

 

Sie schaut immer noch nicht hoch, als sie weiterspricht: „Ich gehe dann mal ins Bett…“. Dann schlendert sie die Treppe hoch. Jessica schnaubt hörbar: „Oh mein Gott. Du hast unser Kind beinahe eine Schlampe genannt und du hast ihre Gefühle verletzt. Das alles nur weil sie jetzt blond ist? Chris, komm bitte mal klar. Du hast echt ein Rad ab“, keift sie mich an. Ich reiße die Augen auf. „Sag mal spinnst du? Als sie noch regelmäßigen Kontakt zu mir hatte, hatte sie nie so verrückte Ideen! Sie hatte Naturhaarfarbe und anständige Klamotten und jetzt ist sie eine Kopie von dir in klein“, brülle ich. Jessica kriegt einen Schreck: „Hast du mich gerade indirekt Schlampe genannt?“, schreit sie. „Was? Nein hab‘ ich nicht!“, gebe ich zurück. „Doch! Du glaubst, dass Melinda jetzt mehr mein Kind ist, als deins! Deshalb tickst du so aus. Krieg das bitte in deinen Kopf: Wir sind gleichwertige Eltern, ok? Sie braucht dich genauso sehr wie mich, klar? Sie hat sich gerade wirklich gefreut, dich zu sehen und du machst sie einfach runter. Schäm dich“, sagt Jessica. Dann geht sie ins Schlafzimmer. Ich seufze. Sie hat wohl irgendwo Recht. Ich gehe die Treppe hoch und will mich bei meiner Tochter entschuldigen. Als ich mich ihrer Tür nähere, höre ich ein Weinen nach außen dringen. Ich betrete ihr Zimmer. Melinda weint unter ihrer Bettdecke.

 

 

„Melinda, komm bitte raus.“, murmele ich. Plötzlich verstummt sie und kommt langsam wieder zum Vorschein. Ich setze mich neben sie aufs Bett und kuschele mit ihr.

 

 

„Tut mir Leid was ich gesagt habe“, fange ich an. „Ich war wegen… etwas anderem aufgebracht“, erkläre ich. „Ich bin nicht böse, dass du deine Haare gefärbt hast, ok?“ Melinda schaut zu mir hoch. „Ich hab‘ das nicht gemacht um dich böse zu machen“, erklärt sie. Ich nicke. „Das weiß ich. Es ist nicht schlimm. Vergessen wir das wieder, ja?“, sage ich. Melinda nickt. „Was du aber nicht vergessen darfst, ist, dass du perfekt bist. Und zwar genauso, wie du bist. Auch mit braunen Haaren.“ Sie nickt nochmal. Ich gebe ihr einen Gutenachtkuss und verlasse ihr Zimmer. Draußen steht Jessica. „Ich wusste du nimmst Vernunft an“, sagt sie mit einem Lächeln. Ich nicke und lächle auch. „Eine Sache noch…“, meint Jessica. Ich sehe sie neugierig an: „Hm? Was denn?“, frage ich.

Sie kichert: „Hast du etwas Zeit übrig?“

 

Ich denke, das passt noch in meinen Terminplan.