Kapitel 16 - Zurück zu den Wurzeln

Für einen Moment halte ich inne. Dann drehe ich mich zu ihr: „Jessica. Lass den Schwachsinn. Was meinst du mit Chance? Wir wissen nicht mal, was da drinnen ist. Es kann auch einfach nur ein stillgelegtes Bergwerk sein. Ein Piratenschatz wird da drinnen wohl kaum versteckt sein.“, sage ich zu ihr. Sie schüttelt leicht den Kopf. „Na und? Schadet es, nachzusehen? Wann bist du bloß zu so einem Angsthasen geworden?“, fragt sie mich. „Ha.“, mache ich und zucke kurz mit den Schultern „Und wann bist du so gierig geworden? Bekommst du nicht genug Lohn? Hast du Geldsorgen?“, erkundige ich mich. Sie stemmt die Hände in die Hüfte und sieht mich mit einem anklagenden Blick an. „Du bist langweilig. Wirklich langweilig. Na los. Gehen wir zu deinem heißgeliebten Carlos.“, murrt sie und geht voraus. Ich seufze und trotte ihr hinterher. Wo kommt denn plötzlich dieser Abenteuerwunsch von ihr her? Was für ein seltsames Verhalten.

Im Lager angekommen sehen wir uns nach Carlos um. Er ist nicht aufzufinden. Wir versuchen uns von umstehenden Archäologen Informationen zu erfragen, doch niemand scheint hier etwas zu wissen. Ich runzele die Stirn: „Wo ist er bloß? Er kann ja nicht einfach verschwunden sein.“. Jessica wirft mir einen abfälligen Seitenblick zu: „Vielleicht hat er ja auch eine Mine gefunden und hatte den Mumm einfach alleine hineinzugehen.“, meckert sie leise. Ich schaue sie genervt an: „Schluss jetzt.“. Dann zeige ich in Richtung von Carlos Hütte und signalisiere Jessica, mir dorthin zu folgen.

Dort angekommen klopfe ich an die Tür. Nach kurzer Zeit öffnet sich die Tür und Carlos steht vor uns.

„Hey Leute, was gibt’s?“ fragt er uns. Ich will beginnen zu erklären, doch Jessica ist schneller: „Da ist so ´ne Schatzhöhle und Chris hat Angst ohne dich.“, erzählt sie. Ich werfe ihr einen kurzen Blick zu und sehe dann Carlos an. „Ich hielt es für wichtig, dich darüber in Kenntnis zu setzen. Es könnte auch einfach nur ein Bergwerk sein, das stillgelegt wurde. Muss ja nichts besonderes sein.“, erkläre ich ihm. Er nickt. „Verstehe. Wir sehen uns das nachher mal an. Danke euch!“, sagt er. „Okay. Dann gehen wir mal.“, sage ich zu ihm und mache mich mit Jessica wieder auf den Weg zu unserer Ausgrabungsstelle bei der Mine. „Bist du zufrieden, Chris?“, schnaubt Jessica während wir gehen. Ich verdrehe die Augen. „Jessica, übertreibst du nicht ein bisschen? Wenn du Adrenalin brauchst oder so, können wir auch in einem Freizeitpark Achterbahn fahren. Das hier ist unsere Arbeit. Wir können nicht einfach machen worauf wir grad Lust haben.“, gebe ich zurück. Es kommt keine Antwort mehr von ihr. Sie geht vor mir, weshalb ich ihren Gesichtsausdruck nicht sehen kann, doch ich sehe wie sie langsam ihren Kopf schüttelt und ihre Haare sich dabei hin und her bewegen.

 

Der restliche Tag verläuft relativ ruhig. Es kommen einige Fundstücke zusammen und auch ich und Jessica können etwas beitragen. Die Fundstücke hauen zwar niemanden aus den Socken, aber wir können schon stolz auf unsere geleistete Arbeit sein. Die Zeit scheint wie im Flug zu vergehen und die Tage ziehen nur so an uns vorbei. Carlos und Catherine haben sich über die Mine schlau gemacht. Es ist tatsächlich nur ein stillgelegtes Bergwerk gewesen. Es steht schon seit Jahrzehnten so verlassen da. Nachdem wir das erfahren haben, wollte ich es Jessica natürlich unter die Nase reiben, aber sie hat mir angedroht mir wehzutun, wenn ich nicht sofort aufhöre, also habe ich es lieber gelassen. Ich wusste doch, dass ich mich einfach wieder auf mein Bauchgefühl verlassen sollte.

Als unser letzter Tag in Oasis Springs zu Ende geht versammelt sich die ganze Gruppe draußen vor den Hütten. Catherine und Carlos stehen vor uns und halten eine kleine Rede. Sie beginnen damit uns zu loben und uns klarzumachen, dass jedes noch so kleine Fundstück bereits ein riesiger Erfolg ist. Das muntert sicher viele auf. Mich zum Beispiel. Wir hatten alle auf einen außergewöhnlichen Fund gehofft, doch leider kam es nicht dazu. Ich bin Carlos‘ Meinung. Wir sollten nicht traurig sein, sondern eher glücklich darüber, was wir geschafft haben. Während die beiden sprechen sehe ich mich um. Die „anderen“, auf die wir keine Lust hatten, waren doch eigentlich schwer in Ordnung. Ich bin fast schon etwas traurig, mich von ihnen verabschieden zu müssen. Jessica hingegen wird wohl heilfroh sein, Derek und Emilia nicht mehr sehen zu müssen. Bevor der Bus kommt, um uns abzuholen, umarmen sich alle noch einmal und tauschen Nummern aus.

 

Als wir mit dem Bus in Willow Creek ankommen, machen Jessica und ich uns gleich auf den Weg nach Bridgeport. Melinda war jetzt eine ganze Weile bei Ashanti geblieben. Wir wollten sie unbedingt endlich wieder sehen und in unsere Arme schließen. An Ashantis Haustüre angelangt drückt Jessica auf die Klingel. Prompt öffnet sich die Tür und wir sehen Ashanti und Melinda vor uns stehen. Sofort fallen sich Jessica und Melinda in die Arme und ich begrüße Ashanti und bedanke mich gleichzeitig bei ihr.

Ashanti lädt uns ein noch ein bisschen zu bleiben und einen Kaffee zu trinken, doch wir lehnen dankend ab. Als wir wieder im Auto sitzen, drehe ich meinen Kopf zu Jessica, die auf dem Beifahrersitz sitzt. „Sollen wir zu meinen Eltern fahren?“, frage ich. „Das wäre eigentlich der perfekte Zeitpunkt.“. Jessica überlegt kurz. Dann dreht sie sich hinter zu Melinda. „Was meinst du, Schatz? Möchtest du zu Oma und Opa?“, gibt sie meine Frage an Melinda weiter. Sie ist begeistert davon und nickt heftig. Dann sieht Jessica wieder mich an. „Da hast du deine Antwort. Lass uns fahren.“, lächelt sie. Ich nicke und fahre los. Nach einigen Stunden befinden wir uns auf dem Land. Hier gibt es keine Hochhäuser oder Wolkenkratzer. Wir sehen nur eine wunderschöne Landschaft und die Berge in der Ferne. Jessica beginnt zu schwärmen: „Siehst du die Berge? Was würde ich dafür geben, mal wieder dort Urlaub zu machen…“. Ich sehe kurz zu ihr rüber und schaue dann wieder auf die Straße. „Können wir doch mal machen. Wenn wir Urlaub bekommen, wieso nicht?“, frage ich sie. Jessica seufzt und sagt nichts. „Was ist los, Schatz?“, frage ich sie. Sie schüttelt den Kopf: „Ach nichts. Schon gut. Wäre toll wenn das klappen würde.“, sagt sie nur. Wie komisch. Was hat sie denn…?

 

Endlich erblicke ich das Haus meiner Eltern am Horizont. Ich parke das Auto vor dem Haus und wir steigen aus. Draußen sitzen meine Eltern auf der Bank vor der Tür und reden gerade miteinander. Als wir uns nähern, springen sie auf und kommen mit strahlenden Gesichtern zu uns. „Chris! Was für eine wunderschöne Überraschung!“ ruft meine Mutter und umarmt mich. Melinda läuft sofort zu ihrem Opa. Die beiden verstehen sich so gut, wie ich es bei zwei Menschen vorher noch nie gesehen habe.

 

Danach erblickt meine Mutter Jessica. „W…Was tut die denn hier?!“, ruft sie zornig

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