Kapitel 24 - Die Abschiedsfeier

„Was macht der denn hier?!“, keift Jessica weiter. „Ich fasse es nicht, dass dieser Psycho uns verfolgt hat! Ich drehe durch!“ Jessicas Stimme wird immer lauter, weswegen ich ihr ein „Pscht!“ zuwerfe. Ich möchte nicht, dass sich jetzt auch noch eine Szene entwickelt, nachdem Carlos uns sowieso schon in Grund und Boden gestampft hat. Nichtsdestotrotz muss ich Jessica recht geben; Was tut Austin hier?

„Er kann uns nicht verfolgt haben, er ist doch mehrere Stunden vor uns losgefahren“, versuche ich zu rationalisieren.

„Trotzdem! Wieso sollte er sonst auf einmal hier sein?!“, blafft Jessica mich an. Es fällt mir schwer, das zu widerlegen. Ich hatte Austin noch nie zuvor hier gesehen, deshalb scheint es kein Zufall zu sein, dass er hier war.

„Wenn dieser Psycho uns oder Melinda was antun will, dann –“, fängt Jessica an in Austins Richtung zu drohen. Ich versuche die Sache zu deeskalieren.

„Übertreib doch nicht, er hatte bei meinen Eltern genug Zeit uns etwas anzutun. Das ist sicher nur ein Zufall. Wenn auch sehr seltsam.“ Von meinen eigenen Worten bin ich allerdings nicht hundertprozentig überzeugt. Jessica zögert kurz, dann wendet sie sich zu mir.

„Rede mit ihm!“, fordert sie von mir, „Frag ihn, was er hier will!“

– „Jetzt mach mal halblang, er tut nichts illegales.“

„Aber seine Anwesenheit stört mich!“, meckert sie. „Chris, das ist doch beim besten Willen kein Zufall! Zuerst hat er deine Familie hypnotisiert und jetzt will er auch noch irgendetwas von uns! Der Typ war mir vom ersten Moment an einfach nur unheimlich!“

Gerade als Jessica ihren Satz beendet, schlendert Kendra in unsere Richtung. Ehe sie uns erreicht, hebt sie die Hand leicht:

„H-hi!“, murmelt sie. Ich wollte gerade mit einem Lächeln im Gesicht ein „Hi!“ zurückgeben, aber Jessica kommt mir zuvor.

„Nicht jetzt, Kathrin, wir haben hier gerade zu tun!“, blafft sie Kendra an.

 „Oh…“, macht Kendra und senkt die Hand wieder, „Man sieht sich.“ Dann geht sie zügig weiter. Jessicas blaue Augen fixieren noch immer Austin, der in einer Ecke des Raumes gerade an einer Lüftungsanlage schraubt.

„Was tut dieser Verrückte da?“, rätselt Jessica laut, „Will er in die Lüftungsanlage Giftgas geben, um uns alle umzubringen?“

Ich rolle mit den Augen.

„Bitte…“

„Wenn du nicht mit ihm reden willst, dann werde ich es tun!“, beschließt Jessica prompt und marschiert in Angriffshaltung auf ihn los.

„J-jessica, halt!“, zische ich und renne ihr hinterher. Doch ich kann kaum Schritt halten, so schnell stampft Jessica davon. Ehe ich sie erreichen kann, schnappt sie sich Austins Schulter und zerrt ihn herum.

 

„Du! Sag mir sofort, warum du hier bist!“, kreischt sie ihn an.

Ich erreiche die beiden und ziehe Jessica zurück.

„Jessica, bist du wahnsinnig?!“, brülle ich ihr ins Ohr.

„Nein! Dieser Kerl wird mir sofort sagen, wieso er uns verfolgt! Was willst du von uns?!“

Austin hatte diesen Austausch bisher noch nicht kommentiert. Er blinzelt nur langsam und seine Augen wandern von Jessica zu mir herüber und dann wieder zurück zu Jessica, die inzwischen beinahe knurrt.

„Ich arbeite hier“, sagt Austin mit seiner gewohnten Roboterstimme.

„WAS?!“, schreit Jessica, „ALS WAS?!“

Ich bemerke wie einige Leute sich inzwischen zu uns gedreht haben, obwohl wir in einer der Raumecken stehen.

„Tut mir leid, Austin, sie…“, fange ich an mich zu entschuldigen.

„Ist das dein Ernst, Chris?! Du beschützt den da?“, wirft sie mir entrüstet vor.

„Es reicht jetzt, beruhig‘ dich mal!“, herrsche ich sie an.

Austin schweigt und sieht seiner Angreiferin nur starr in die Augen. Ich halte sie immer noch zurück, als würde ich versuchen einen Tiger zu bändigen. Zu meiner Überraschung scheint Jessica sich tatsächlich abzuregen und langsam spüre ich, wie die Muskeln, an denen ich sie festhalte, sich entspannen. Parallel zu dieser Entspannung lockere ich meinen Griff, bis ich sie schließlich loslasse.

„Ich möchte Sie beide keinesfalls mit meiner Anwesenheit beunruhigen“, sagt Austin und seine monotone Stimme erreicht nicht ganz die beschwichtigende Tonlage, die er wohl angepeilt hatte.

„Aber mal im Ernst, wie kommt es, dass Sie hier arbeiten, Austin? Das ist ja ein riesiger Zufall…“, frage ich neugierig.

Er nickt.

„Vielleicht dachten Sie sich das schon, nachdem ich den Wasserhahn im Haus Ihrer Eltern repariert hatte“, beginnt er und ich fühle mich als könnte ich jeden Moment in eine Trance fallen, „aber ich arbeite als Hausmeister“, beendet er seinen Satz. „Ein wenig handwerkliche Begabung muss ich dafür mitbringen“, ergänzt er.

Ich erinnere mich daran, dass er bei meinen Eltern so etwas sagte wie: „Ziehen sie einen richtigen Experten hinzu, wenn Sie sich sicher sein wollen, dass der Wasserhahn hält.“

Jessica schweigt und schüttelt nur missbilligend den Kopf. Sie hat diese Geschichte definitiv nicht geschluckt.

„Verstehe“, sage ich, „nun… herzlichen Glückwunsch dann. Für die neue Stelle“, hört man meine unehrlichen Worte.

 

 

Austin nickt kurz und sieht uns dann nur stumm an. Er ist meiner Frage ausgewichen und hat uns nicht erklärt, wieso er auf einmal hier arbeitet. Außerdem war ich mir sicher, dass wir schon einen Hausmeister hatten. Austin steht reglos da und seine Augen starren abwechselnd mir und Jessica ins Gesicht, als ob er darauf warten würde, dass jetzt etwas passiert. Jessica schnaubt und hebt die Nasenspitze.

„Glaub bloß nicht, dass ich dir über den Weg traue. Du heckst doch irgendetwas aus. So einen Zufall gibt es nicht“, donnert sie. „Wenn du irgendwelche Dummheiten versuchst, bringe ich dich persönlich um, Freundchen.“

Austin sieht immer noch tiefenentspannt aus und schweigt nur angesichts dieser Drohungen. Ich erkenne, dass wir unseren Besuch eindeutig überstrapaziert haben, und lege meine Hand auf Jessicas Schulter.

„Also nochmal, alles Gute.“

Dann mache ich kehrt und schiebe Jessica mit mir mit. Als wir außer Hörweite sind, keife ich sie an:

„Was war das denn? Bist du komplett wahnsinnig? Du kannst doch nicht einfach so den Leuten Morddrohungen an den Kopf werfen! Wir arbeiten hier!“

Sie löst sich von meiner Hand, die auf ihrer Schulter liegt.

„Ich traue dem nicht über den Weg. Ich weiß, er ist nicht zufällig hier. Was auch immer er plant, er soll sich warm anziehen. Nicht mit mir!“, ruft sie provokant in seine Richtung, bevor sie die Treppen zu ihrem Büro hochstolziert. Ich seufze. Austin sieht gerade zu mir her und ich mache eine entschuldigende Handgeste. Er nickt mir nur zu, nimmt wieder den Schraubenzieher in die Hand und schraubt weiter an der Lüftungsanlage. Für heute hatte ich wirklich genug Action erlebt. Langsam schlendere ich in mein Büro im ersten Stock.

 

Die nächsten zwei Wochen verbringe ich damit, zu überlegen, wie ich die Perle am besten loswerden kann. Der Raum zu den Fundstücken ist natürlich jederzeit verschlossen und nur Carlos hat den Schlüssel. Ich wage es nicht, mit ihm zusammen dort hineinzugehen und die Perle dann abzuladen, aus Angst, er könnte es bemerken. Es scheint nahezu unmöglich, uns dieser Perle zu entledigen. Carlos bewahrt die Schlüssel in seinem Büro auf, aber leider ist auch er rund um die Uhr in diesem Büro, sodass ich sie mir unmöglich einfach kurz nehmen könnte. Jessica ging so weit, vorzuschlagen, dass wir doch abends einfach in sein Büro einbrechen sollten. Ich musste sie daran erinnern, dass die Sicherheitsvorkehrungen in der Nacht besonders hoch sind. Wir haben mehrere Alarmanlagen, Kameras und Bewegungsdetektoren im Gebäude, die nachts, wenn keine Menschenseele mehr im Gebäude ist, die Sicherheit unserer kostbaren Fundstücke garantieren sollen. Immerhin haben wir hier wertvolle Artefakte gelagert, da ist es nur natürlich, dass die Schutzmaßnahmen mindestens genauso stringent sind, wie der Wert der Ware.

So vergingen die Tage und ich wurde immer verzweifelter, weil ich keine Ahnung hatte, was ich mit der Perle tun sollte. Vielleicht sollte ich sie einfach wegschmeißen? Oder einfach irgendwo im Gebäude fallen lassen, sodass sie dann per „Zufall“ auftaucht. Aber meine Paranoia sagte: „Was, wenn irgendjemand sie zu mir zurückverfolgen kann? Was, wenn jemand mich sieht, wie ich sie fallen lasse, oder wenn ich meine Fingerabdrücke nicht sorgfältig genug abwische?“

 

Eines Abends, als ich gerade mein Büro abgeschlossen hatte und mich in Richtung Ausgang begebe, komme ich an einem Aushang an der Wand vorbei.

 

 

Abschiedsfeier für Prof. Dr. Oliver Clarke

(Freitag, 19:00 Uhr)

 

Alle Kollegen und Kolleginnen des Archäologiezentrums sind eingeladen, den wohlverdienten Ruhestand unseres hochgeschätzten und weltweit renommierten Professors zu feiern.

 

Darunter befindet sich ein kurzer Ablaufplan. Einführungsrede, Bankett, Tänze und noch mehr Reden. Ich schrecke leicht auf. Herrje, ich hatte vergessen, dass diese Abschiedsfeier diesen Freitag war. Auch wenn ich eigentlich keine sonderliche Lust habe, meinen Freitagabend dort zu verbringen, muss ich hingehen. Prof. Clarke ist ein bekannter und vor allem unglaublich brillanter Archäologe, dessen literarische Werke in Reih und Glied in meinem Bücherregal stehen. Er machte in seinem Leben viele unglaubliche Entdeckungen: Versunkene Städte, verlorene Schätze, verfluchte altertümliche Völker. In seiner Karriere schien es nichts zu geben, dass er noch nicht geschafft hatte. Auch nach seinem Ruhestand wird er einer der einflussreichsten Menschen in meiner Branche bleiben. Es ist also nur logisch, dass ich die Chance noch nutze, eine Verbindung zu ihm aufzubauen und mich bemerkbar zu machen, auch wenn das eigentlich so gar nicht meine Art war. Er arbeitet zwar eigentlich schon seit vielen Jahren in unserem Archäologiezentrum, aber zu Gesicht bekommen hatte ich ihn bisher noch nie. Ich war aber im Vergleich zu ihm auch erst seit relativ kurzer Zeit hier. Ich höre Schritte auf mich zu kommen und wende mich. Es ist Jessica.

„Können wir los? Was schaust du dir da an?“, fragt sie mich neugierig.

„Das ist der Aushang für Dr. Clarkes Abschiedsfeier. Ich hatte das total vergessen!“

„Oh, ich auch! Wann ist die Feier…? – Hm, am Freitag? Herrje, was ziehe ich an?“

Als sie das sagt, fange ich auch an, zu überlegen. Ich glaube, ich werde meinen alten Anzug anziehen. Vielleicht ein bisschen Haargel und das sollte ausreichen, oder?

Jessica macht plötzlich große Augen.

„Chris!“

„Was?“, frage ich neugierig.

„Schau mal was hier unten steht!“, ihre Stimme ist aufgeregt.

Ich sehe an die Stelle unten auf dem Papier, auf die sie deutet und lese die klein gedruckten Buchstaben ab:

 

 

Kollegen, die bei der Vorbereitung helfen wollen,

sollen sich gerne bei Carlos melden.

Vielen Dank im Voraus!

 

 

Unsicher, was sie mir damit sagen will, schaue ich ihr ins Gesicht. Sie rollt mit den Augen.

„Wir melden uns dafür. Das Gebäude wird sicher leer sein. Nur Carlos, wir, und die ein oder zwei Streber die sich dafür freiwillig melden. Das ist die perfekte Gelegenheit! Sein Büro wird nicht versperrt sein, aber er wird auch nicht drinnen sein! Ich stelle sicher, dass Carlos abgelenkt und weit weg von seinem Büro ist und du schnappst dir den Schlüssel und erledigst das mit der Perle! Außerdem sind dann auch die ganzen Sicherheitsvorkehrungen noch nicht aktiv, die werden ja erst in der Nacht angeschaltet.“

Ich lausche Jessicas wahnwitziger Idee, aber je mehr sie erklärt, desto plausibler scheint ihr Plan zu werden. Wie ein Rettungsring, der mir zugeworfen wurde, klammere ich mich an ihre Worte. Alles was ich möchte, ist diese vermaledeite Perle endlich loszuwerden. Ich nicke langsam.

„Okay… okay, also gut!“, sage ich, als würde ich versuchen mich selbst zu überzeugen, dass dieser Plan funktionieren wird. „Aber glaubst du wirklich, dass das so reibungslos ablaufen wird?“

Jessica winkt lässig ab.

„Na klar! Die Idee ist idiotensicher.“

„Danke…“

„Das wollte ich damit nicht sagen. Ich meine nur, dass es definitiv funktionieren wird. Wieso denn nicht?“

Ich überlege angestrengt, was unsere Mission vereiteln könnte. Alles was ich brauche, ist der Schlüssel aus Carlos‘ Zimmer und weniger als eine Minute, um kurz in den Fundstückeraum zu huschen und die Perle dort abzulegen. Dann würde ich wieder heraussprinten, die Tür abschließen, den Schlüssel zurücklegen und zu Carlos und den anderen hinzustoßen, die gerade die Partyvorbereitungen im Foyer erledigen.

„Denkst du wirklich, dass Carlos‘ Büro nicht verschlossen sein wird?“, frage ich sie.

Sie nickt mir zu.

„Der ist doch ständig da drinnen, wieso sollte es abgeschlossen sein?“

 

Carlos war noch im Haus, deshalb gingen Jessica und ich zu seinem Büro. Dort angekommen, klopfe ich an die Tür und es folgt ein kurzes, strenges „Herein!“ Das will ich mir nicht zweimal sagen lassen, also öffne ich schnurstracks die Tür und wir beide treten ein.

 

Carlos sitzt an seinem Schreibtisch und sieht zu uns auf.

„Ah, hallo. Was gibt’s?“

„Ähm…“, stammele ich, „wir haben gerade den Aushang für Dr. Clarkes Abschiedsfeier gesehen. Du brauchtest noch Leute für die Vorbereitungen?“

Carlos lächelt.

„Das stimmt. Sagt bloß, ihr zwei wollt helfen?“

Ich nicke. „Klar, wenn du uns gebrauchen kannst.“

„Selbstverständlich kann ich das! Vielen Dank für das Angebot. Das nehme ich sehr gerne an. Könntet ihr am Freitag dann einfach so circa eineinhalb Stunden vor dem Beginn der Feier hier sein? Wir müssten einige Tische und Stühle aufstellen“, Carlos‘ Stimme schwindet langsam in meinen Ohren, weil ich vor Nervosität schon gar nicht mehr zuhöre.

Werde ich es wirklich schaffen, seine Schlüssel zu stehlen? Was, wenn es schiefgeht? Was, wenn er mich erwischt? Es steht so viel auf dem Spiel. All das nur, weil Jessica unbedingt dieses Ding klauen musste! Wir könnten unsere Jobs verlieren. Wer stellt denn ein diebisches Archäologen-Ex-Ehepaar ein? Unsere ganze Existenz hängt daran. Andererseits würden wir aber sicher auch gefeuert werden, wenn wir die Perle jetzt offen zurückgeben. Zumindest einer von uns würde die Konsequenzen für diese ungeheuerliche Tat tragen müssen. In unserer Branche war ein Diebstahl ein Todesurteil.

„… dann wären da noch die ganzen Luftballons, die müssten wir im Raum verteilt aufhängen. Die Disco-Lichter für die Tänze müssten bis dahin schon angebracht sein. Ach, und selbstverständlich noch…“, höre ich Carlos‘ Stimme dumpf im Hintergrund.

Ich erwache langsam aus meinen Gedanken und versuche mir selbst Mut zuzureden. Jessica wird ihn ablenken, er wird es gar nicht merken. Das Ganze dauert doch nicht länger als eine Minute. Was kann in einer Minute schon schief gehen?

„Wäre das für euch in Ordnung?“, fragt Carlos uns.

Ich schaue blöd aus der Wäsche, aber Jessica ergreift glücklicherweise das Wort.

„Natürlich, wir helfen gerne! Immerhin geht es hier um Dr. Clay – ähm Clarke meine ich.“

Carlos lächelt zufrieden.

„Ihr seid super, vielen Dank!“

Wenn er wüsste, was wir hier tun…

Wir tauschen noch kurz Freundlichkeiten aus, bevor Jessica und ich das Zimmer verlassen. Als wir auf dem Parkplatz sind, kichert Jessica.

Ich hingegen bin langsam genervt von der ganzen Sache.

„Was ist so lustig?“, frage ich schnippisch.

„Er denkt wirklich, wir wollen unsere Lebenszeit für diesen verschrumpelten Professor vergeuden.“

„Hör auf. Wieso redest du immer so über die Leute?“

Sie schnaubt.

„Solange andere über uns reden, werde ich auch über sie reden.“

„Ach, Professor Clarke ist also auch Teil des Lästerzirkels? Er lacht auch über uns?“, belle ich sie an. „Wer kommt als nächstes hinzu? Die Putzfrau, die abends die Flure wischt? Oder nein, der Gärtner, der gefühlt einmal im Monat hier ist? - Warte, warte, es sind bestimmt die Astronauten, die gerade in der Raumstation umherschweben, oder? Ich wusste es, diese Mistkerle!!!“

Jessicas Grinsen war erloschen und sie sieht mich angewidert an.

„Sei du einfach weiterhin so gutgläubig. Lach den Leuten weiterhin ins Gesicht, während sie dich durch den Dreck ziehen.“

Ich winke ab.

„Ach, lass stecken.“

Im Auto schweigen wir uns nur an und auch zuhause angekommen hängt Anspannung in der Luft. In dieser Nacht liege ich etwas länger wach als gewöhnlich. Ich sehe zu Jessica rüber, die seelenruhig schläft. Wie kann sie so unbeschwert sein? Ich mache mir Sorgen. Über alles. Die Perle, die Zukunft und unsere Beziehung. Ich frage mich, wohin das mit mir und Jessica führt. Will ich sie wirklich noch einmal heiraten, nach allem was passiert ist? Nicht nur hatte sie mich mit meinem ehemaligen besten Freund betrogen, ihre Persönlichkeit scheint auch noch giftiger geworden zu sein, als sie sowieso schon war. Und jetzt ist sie auch noch eine Diebin. Ich kneife die Augen zusammen und lege die Stirn in Falten. Wo führt das hin? Ich kann nicht für immer mit diesen Zweifeln leben, aber was ist die Alternative? Immerhin haben wir ein Kind, das gerade dabei ist, sich daran zu gewöhnen, dass wir wieder vereint sind.

Es war erst in den frühen Morgenstunden, dass meine Augen endlich zufielen und ich einige wenige Stunden Schlaf bekommen hatte.

 

 

Am Freitag der Abschiedsfeier begeben Jessica und ich uns direkt nach der Arbeit zu Carlos, um bei den Vorbereitungen zu helfen, wie wir versprochen hatten. Carlos ist in seinem Büro und sieht zu uns auf, als wir nach einem Klopfen hereintreten. Ein Lächeln formt sich auf seinen Lippen.

 

 

„Schön, dass ihr da seid. Und schick schaut ihr aus!“

Dann steht er auf und kommt um seinen Schreibtisch herum. Er deutet auf zwei Kartons, die in einer Ecke seines Büros stehen.

„Da sind die Luftballons und die restliche Deko drinnen. Wollen wir gleich loslegen?“

Jessica und ich nicken rhythmisch.

Carlos packt sich eine Schachtel, während ich mir die übrige nehme, und wir begeben uns die Treppe hinunter ins Foyer. Dort angekommen stellen wir unsere Fracht ab und Carlos sieht sich wie ein Falke im Raum um.

„Ich würde sagen wir fangen im Eingangsbereich an. Prof. Clarkes Lieblingsfarbe ist Magenta, lasst uns also die magentafarbenen Ballons gleich am Eingang aufhängen, dass sie ihm sofort ins Auge fallen, wenn er hereinkommt“, erklärt Carlos und nimmt bereits die ersten Luftballons besagter Farbe aus dem Karton heraus. Er reicht Jessica einige davon und will auch mir einen Teil abgeben, doch Jessica schaltet sich ein.

„Carlos… sollte Chris nicht vielleicht schonmal was anderes machen? Wir kommen mit den Ballons schon klar.“

 

Er blinzelt kurz, bevor er sich nachdenklich zu mir wendet.

„Da hat sie eigentlich Recht. Wir müssen die Tische aus der Abstellkammer im ersten Stock nachher noch runtertragen, das wird ein Kraftakt. Aber du kannst ja schonmal die Hocker runterbringen, die sind auch dort oben“, weist Carlos mich an. Dann nimmt er zwei kleine Heliumfläschchen aus den Kartons, reicht einen Jessica und benutzt seinen eigenen sogleich, um einen magentafarbenen Luftballon aufzublasen, der sofort an Volumen zunimmt und kugelrund wird. Meine Chance ist jetzt oder nie. Ich sprinte die Treppen förmlich hoch und nachdem ich mich versichert habe, dass niemand sonst im Gang ist, gehe ich schnurstracks zu Carlos‘ Büro. Die Tür ist nicht verriegelt, immerhin standen wir mit Carlos gerade eben noch zusammen hier drinnen, als wir die Kartons mitgenommen haben. Ich fühle mich extrem kriminell und breche gerade sicherlich circa ein Dutzend Gesetze, doch trotzdem beginne ich in seiner Schreibtischschublade nach dem Schlüssel für den Fundstückeraum zu kramen. Kaum erblicke ich die silbernen Schlüssel, habe ich sie mir schon geschnappt und renne aus dem Büro hinaus und zum Fundstückeraum, der zum Glück ebenfalls im ersten Stock liegt. Mein Herz pocht so stark, dass ich Angst habe, dass man es unten noch hören könnte.

 

Mit zittrigen Händen stecke ich den Schlüssel ins Schloss und drehe ihn geschwind um. Mit einem *Klick* öffnet sich das Schloss und ich trete ein. Das Licht im Raum ist bewegungsgesteuert, weshalb es gleich angeht, als ich hereinkomme. Hier stehen mehrere große, hölzerne Kisten und die richtige wollte wohl erst noch gefunden werden. Zu allem Überfluss sehen sie alle auch nicht gerade bemerkenswert aus. Meine Augen fliegen förmlich über die Beschreibungen, die auf den Außenseiten der Kisten angebracht waren.

„Höhle bei Nungahapinni“,

„Wüste zu Al Soudaf“,

„Grabstätte Mirdorahl“,

„Ruinen von Skipalon“

Es handelt sich um Fundstücke aus archäologisch sehr wertvollen Orten auf der ganzen Welt, einige davon von unserem scheidenden Professor Dr. Clarke höchstpersönlich ergründet.

 

Ich wusste natürlich, dass wir im Besitz vieler wertvoller Artefakte waren, doch als ich hier so stehe, in dem Raum, zu dem sonst nur Carlos und die hohen Tiere Zugang hatten, fühlen sich diese schlichten Holzkisten an, als wären sie von Gott selbst geschickt worden. Ich versuche mich zu konzentrieren und suche weiter, bis ich endlich die richtige Holzkiste mit der Aufschrift „Oasis Springs“ erblicke. Ich spüre, wie sich auf meinem Gesicht ein leichtes Lächeln formt, weil ich mich der Erlösung so nahe fühle, wie seit Wochen nicht mehr. Alles was ich jetzt noch tun muss, ist die Kiste zu öffnen, diese Unglücksperle hineinzulegen und endlich diese Last hinter mir zu lassen. Der Deckel schlittert förmlich davon, als ich ihn anhebe und im Inneren sehe ich die sorgfältig verpackten Fundstücke aus unserer Expedition. Ich greife in meine Tasche und hole ein Paar Handschuhe heraus, die ich von zuhause mitgenommen hatte. Als nächstes kommen ein Tuch und die Perle zum Vorschein. Ich hatte die Perle schon zuhause gut gereinigt, aber ich will sichergehen, also wische ich noch einmal sorgfältig mit dem sauberen Tuch über die schimmernd-schwarze Perle.

„Auf Nimmerwiedersehen“, murmele ich.

Doch bevor ich die Perle hineinlegen kann, höre ich, wie jemand die Tür öffnet und eintritt.

Ich wirbele wie ein Tornado herum und mein Herz fliegt mir förmlich aus der Brust heraus.

 

Ich sehe ihn und erstarre.